Ein Beispiel Ulmer Kulturpolitik
Mit dem 31. Dezember geht in Ulm eine Ära zu Ende: nach genau 25 Jahren mit mehr als 800.000 Besuchern schließt die Ulmer Spielschachtel endgültig ihren Vorhang. Wir werden immer wieder gefragt, wie es passieren kann, dass die Stadt Ulm es fertig bringt, ein so erfolgreiches Theater zum Aufgeben zu zwingen. Tatsache ist, dass die Ulmer Spielschachtel ein Profil hatte, das sie zu einer einmaligen Einrichtung in Deutschland machte. Besucher aus ganz Deutschland und dem Ausland besuchten das Theater mit seinen Sparten und fragten „warum haben wir das nicht bei uns?“ Die Zahlen Besucher und Eigeneinnahmen im Verhältnis zur städtischen und staatlichen Förderung waren hervorragend, das Konzept glasklar. – Das Konzept der Spielschachtel war bis in Kleinigkeiten auf das Publikum ausgerichtet. Es ging von der Idee aus, dass Ulm als wirtschaftlich zukunftsträchtige Stadt den jungen Familien auch in kultureller Hinsicht ein Angebot zur Verfügung stellen muss, das einmalig, ein „Ulmer Modell “ ist. Nachweislich gab es Familien, die das Angebot der Spielschachtel als einen der Gründe angaben, dass sie nach Ulm zogen.
Das Konzept im Einzelnen:
Der Spielort „Altes Theater“
Hier zeigte die Spielschachtel auf der großen Bühne und einem Zuschauerraum mit über 360 Plätzen im Winterhalbjahr ein vielfältiges Programm. Über 30 Theaterstücke waren im Programm, davon jährlich zwei bis drei Neuinszenierungen. Vom Einpersonenstück bis zu großen Inszenierungen mit rund fünfzehn Spielerinnnen und Spielern war alles vertreten. Eine völlig eigene Stilentwicklung war das „poetisch-phantastische Theater“ ein Verquickung aus Elementen des Filmes mit der Gegenwart lebendiger Schauspieler. Auf diesem Gebiet war die Entwicklung auf gutem Wege. Theater, wie es sonst nur in großen Theaterhäusern möglich ist, sollte den Familien geboten werden.
Der Spielort Luftikuss
Luftikuss war eine große Freilufttheaterinstallation, eine Weiterentwicklung des „Mitmachtheaters“, jedes Jahr im Frühjahr rund neun Wochen an der Donau. Es entwickelte sich, dem Konzept entsprechend, zu einem Treffpunkt von Familien aus allen Gesellschaftsschichten, aller Altersgruppen und aller Kulturkreise. Das Projekt sollte weiter ausgearbeitet werden, das Angebot an Eigenaktivitäten neben Theater (jährlich zwei-drei Neuinszenierungen pro Saison), Zirkus (Kinderzirkus Pepperoni Pfefferkorn), Karussells, sinnespädagogischem Spielpark, erweitert und der künstlerische Rahmen verfeinert werden.
Der Spielort Marionettentheater
Am Kuhberg Nr. 10 baute die Spielschachtel ein zauberhaftes Marionettentheater mit einem einmaligen Ambiente. Das Angebot richtete sich an die kleinsten Kinder mit ihren Begleitern, wobei auch kleine Besucherzahlen, anders als im großen Alten Theater, bedient werden konnten.
Der Spielort „Theater der Nacht“
Theaterneuentwicklungen waren für die Spielschachtel stets eine Herausforderung. Auf psychologische Forschungen aufbauend, war am Kuhberg 10 eine völlig neue Theaterform im Entstehen: ein Mitmachtheater im Dunkelraum, nach sinnespädagogischen Gesichtspunkten. Dieses Theater erlangte wegen fehlender Gelder noch nicht die Eröffnungsreife.
Die Spielschachtel war die erste Einrichtung, die in Ulm einen Kinderzirkus aufbaute, lange bevor es in der ganzen Republik zur „In Show“ mutierte.
Wie war es nun möglich, dass die Stadt Ulm die Spielschachtel absichtlich finanziell zerstörte und zur Aufgabe zwang?
Die Analyse zeigt, dass es eine Reihe von Gruppierungen in Ulm gab, denen diese Einrichtung ein Dorn im Auge war. Solange ein Kulturbürgermeister und ein Kulturamt existierten, die den Wert der Spielschachtel zu schätzen wussten, konnte sie sich gesund entwickeln. Mit einem Wechsel im Bürgermeisteramt wurde eine dramatische Entwicklung in Gang gesetzt und die erwähnten Gruppierungen bekamen Oberwasser.
So unterschiedlich diese Gruppierungen auch scheinen, gehen sie doch ineinander über. Gemeinsam ist ihnen allen, dass ihnen das Publikum, sofern es die Spielschachtel betrifft, absolut egal ist, nur ganz persönliche Interesssen eine Rolle spielten.
Bezeichnend war es, dass während der gesamten Verurteilungsprodzedur weder in der Zeitung, noch von der Verwaltung, noch von der Politik auch nur ein einziges Mal die Zahlen der Spielshachtel erwähnt wurden, die beweisen, dass diese Einrichtung in Süddeutschland, ja in der ganzen Bundesrepublik eine hervorragende Stellung hatte.
Die Gruppierungen im Einzelnen:
Die Neider
Während der 25 Jahre ihrer Existenz hatte es die Spielschachtel immer mit einer Reihe von Neidern zu tun, die es nicht ertragen konnten, dass diese Subventionen erhielt und im Alten Theater halbjährlich spielte. Diese Neidergruppe rekrutierte sich im wesentlichen aus Schauspielern und Theatergruppen. Auch am Ulmer Theater gab es eine Reihe von Leuten, die in dieser Ecke standen. Diese Einrichtung wollte vor 25 Jahren eine vierte Sparte Kinder- und Jugendtheater, was durch die Existenz der Spielschachtel nicht realisiert wurde.
Die Ideologen
Kinder- und Jugendtheater wurde von den sogenannten „68ern“ neu erfunden und sollte als Mittel zur Gesellschaftsveränderung dienen. Auch heute noch sieht das links-alternative Lager das Kinder- und Jugendtheater als ureigenste Spielwiese an und benützt es, wie auch viele Kinder- und Jugendbücher, zur Verbreitung ihrer Gesellschaftsvorstellungen. Volker Ludwig, der Gründer des Berliner Grips Theaters, formulierte es einmal so: „“Früher haben wir (linkes) politisches Kabarett gemacht, dann entschieden wir uns, unsere Ideen über das Kinder- und Jugendtheater in die Gesellschaft zu bringen“. Weil die Spielschachtel den Mißbrauch der Kunst für Ideologien ablehnte, wurde sie von diesen Ideologen immer bekämpft und ihr von Anfang an der Vorwurf gemacht, sie spiele nicht die richtigen Stücke (nicht „modern!“, nicht „ambitioniert!“). Heute werden durch eine Jurorengruppe nur noch die Gruppen zur finanziellen Förderung zugelassen, die die politisch korrekten Stücke spielen. Diese Ideologen saßen und sitzen in etlichen Ulmer Kultureinrichtungen, in der marktbeherrschenden Südwest Presse Ulm und sie zentrieren sich politisch bei der Fraktion der SPD und den Grünen, die bis auf einzelene Unterstützer aus ihren Reihen aus Prinzip immer gegen die Spielschachtel waren. Auch der Verband der Baden-Württembergischen Kinder- und Jugendtheater mit seinen zahlreichen Mitgliedern der städtischen und staatlichen „Jungen Bühnen“ wird von diesen Ideologen beherrscht. Sie stellten auch die Jurygruppe, die die Spielschachtel nach einem hahnebüchenen Verfahren als nicht mehr förderungswürdig erklärte.
Die „Machtinstinktler“
Die Größe und der Erfolg der Spielschachtel löste bei einigen Herrschaften offensichtlich Angstgefühle aus! „Der Geigenberger wird uns zu stark, der muss weg!“ Anstatt sich einmal mit den einfachsten betriebswirtschaftlichen Grundtatsachen eines Theaterbetriebes auseinander zu setzen, fühlte sich die Fraktion der Freien Wähler erpresst und gab die Spielschachtel zum Abschuss frei. Ralf Milde (FWG) gab seinen Gefühlen freien Lauf: „Einen Intendanten können wir abwählen“. – „Was ihr Fanclub (über 30.000 Theaterbesucher jährlich!) sagt, weiß ich, es ändert aber nichts an der Tatsache (der Zerstörung der Spielschachtel!) Und auf die Frage, warum er als Theatermann sich nicht selbst ein Bild von der Qualität der Spielschachtelinszenierungen gemacht habe, meinte er nur: „Es ist nicht Aufgabe des Gemeinderates, ein Gutachten zu überprüfen“. – Es war klar: die Spielschachtel sollte verschwinden! Die Jury war nur das gekaufte Feigenblatt.
Die große Illusion
Eine wichtige Rolle bei der Zerstörung der Spielschachtel spielten Kulturbürgermeisterin Sabine Mayer-Dölle und Kulturamtsleiterin Iris Mann. Als Sabine Mayer-Dölle ins Kulturbürgermeisteramt gewählt wurde, hatte sie von „Kultur“ absolut keine Ahnung. Unter ihrer Leitung wurden zwei Konzepte für den Bereich Kinder- und Jugendtheater erstellt, die beide nicht die Zustimmung des Gemeinderates erhielten. Die Bürgermeisterin übergab nun diesen Bereich an die ins Kulturamt neu gewählte Leiterin Iris Mann. Diese holte sich offensichtlich beim Verband der Baden-Württembergischen Kinder- und Jugendtheater, einer Dachorganisation der staatlichen und städtischen Bühnen dieser Sparte, Rat. Denn das neue Konzept liegt nun voll auf der Linie dieses Theaterkartells. Eine Jury aus Mitgliedern dieses Verbandes bzw. deren Einrichtungen, sollte fortan in Ulm eine „Evaluation“ durchführen und die Zuschusskriterien festlegen und überwachen. Der Überwachungsvorgang bei der Spielschachtel zeigte, dass die Jury an der Spielschachtel, deren Ausrichtung und deren Konzept überhaupt kein Interesse zeigten. Von über dreißig Repertoirestücken sahen sie gerade mal zwei kleine Inszenierungen an, die zwar über die Jahre hinweg überaus erfolgreich und von Zeitungskritikern stets hoch gelobt wurden, aber eben nur einen speziellen Ausschnitt der Spielschachtel-Arbeit zeigten. Das dritte Stück war eine Versuchsareit im neu eröffneten Marionettentheater und in der Tat nicht lobenswert. Die Beurteilung der Jury war nur eine Ansammlung von intellektuellen Verschraubungen, falschen Behauptungen und dem Beleg dafür, dass die Jury ihrer Aufgabe, offen und vorurteilslos auf Theaterarbeiten einzugehen, in keiner Weise gewachsen war. Vielmehr musste vermutet werden, dass sie mit allen Mitteln eine von vornherein feststehende Entscheidung legitimieren musste. „Es war der Jury nicht ersichtlich, warum dieses Stück in dieser Form für dieses Publikum gespielt wurde“, heißt der alles entlarvende Satz. Hätten diese selbsternannten Kulturpolizisten die einfachsten Vorgänge des Theaters durchschaut und auch die Seite des Publikums gesehen, so hätten sie gemerkt, dass dieses Publikum zur Spielschachtel gegangen ist, um eben dieses Stück in dieser Form zu sehen und sich mit langanhaltendem, tosendem Beifall bei der Spielschachtel für die Vorstellung bedankte. Die Zielrichtung einer Theaterarbeit ist immer das Publikum, das Kriterium des Erfolgs ist immer , ob ich als Theatermensch dem Publikum etwas mitzuteilen habe, ob ich sein Interesse erreiche und nicht, ob irgendwelche Ideologie zum Zuge kommt.
Die Spielschachtel ist unter dem durch das Jurygutachten erfolgten Todesstoß („keine Qualität“, was durch andere, wirklich unabhängige Gutachter mit fassungslosem Kopfschütteln quittiert wird) zusammengebrochen und wurde abgewickelt. Der Verband hat nun den Sektor Kinder- und Jugendtheater fest im Griff und bestimmt, wer in Zukunft noch Fördergelder bekommt. Iris Mann träumte von einer Bühne im Alten Theater, wie dem des JES (Junges Ensembele Stuttgart). Sie wollte offensichtlich ganz großes schaffen, das sie an dem, wie sich gezeigt hat, völlig subjektiven Begriff „Qualität“ festmachte. Ulm sollte in die erste Liga aufsteigen! Was sie geschafft hat war nur, dass sie alles zerstört hat, denn sie hatte keine Ahnung davon, was auf dem Gebiet Kinder- und Jugendtheater wirklich läuft.
Die Spielschachtel wurde nie nach ihrem Konzept befragt. Das immense Wissen, über das sie verfügte, wurde genauso wie eine unglaublich umfangreiche Infrastruktur buchstäblich verbrannt oder auf den Müll geworfen!
Nun ist jede Ulmische Individualität verschwunden. Das Plakat für das Alte Theater wie auch Inhalt und Form der Stücke unterscheiden sich in keiner Weise mehr von den unzähligen anderen Darbietungen dieser Art in anderen Städten. Auf Veranstaltungen wie „Schöne Aussicht“ wird festgelegt, was in Ulm auf der Bühne kommen darf. Das Alte Theater ist zu einem völlig gesichtslosen Spielort geworden.
Aber: Das Publikum bleibt weg! „Wir haben bei den Besucherzahlen noch Luft nach oben“, „die Zuschauerzahlen sind überschaubar“, heißen Formulierungen, die das Desaster verschleiern sollen. Die Kosten für den Bereich sind enorm angestiegen. Allein für die Verwaltung des Alten Theaters wurde im Kulturamt eine halbe Stelle geschaffen. Vorher hatte dies die Spielschachtel kostenlos gemacht. Ein bißchen scheint es den an dieser Katastrophe Schuldigen zu dämmern, was Ulm verloren hat: nachdem man Luftikuss zerstört hat, wird dieses ureigenste Spielschachtelkonzept von der Verwaltung für 2011 neu ausgeschrieben. Was man bekommen wird, kann nicht mehr sein als ein billiges Plagiat!
Die Sieger dieses gewaltigen Kulturvernichtungskampfes mögen sich ins Fäustchen gelacht, sich gegenseitig auf die Schulter geklopft oder auch nur selbstzufrieden zurückgelehnt haben, ob ihres Erfolges. Andere haben geschwiegen und weggeschaut. Markus Kienle, ehemals Fraktionsvorsitzender der Grünen und ihr Oberbürgermeisterkandidat drohte: „Geigenberger wird in Ulm keinen Fuss mehr auf den Boden bringen!“ Ein Beispiel grüner Kulturpolitik!
Die Folgen für Ulm sind schon heute absehbar. Ulm wird auf dem Gebiet des Familientheaters absolut keine Rolle mehr spielen. Die Frage nach Zukunftsfähigkeit, nach Innovation, statt 68er Mehltau, wird nicht mehr gestellt, weil es zu vielen Ulmer Kulturmachern nicht in den Kram passt.
Es werden wieder unendlich viele Stücke für Kinder gespielt, ohne ein wirkliches Konzept, ohne ein individuelles Gesicht. „Vielfalt ist gleich Einfalt“ ist die Devise und die sogenannte Evaluierung ist in Wirklichkeit völlige ideologische Egalisierung. Die Stadt hat wieder einmal gezeigt, dass sie eine Stadt der verpassten Gelegenheiten ist, dass sie der Versuchung erlegen ist, statt „klein aber fein und exquisit“ und „eigenständig anders“ zu sein, einerseits dem Größenwahnsinn, der totalen Illusion (Ulm wird Kulturhauptstadt Europas!!!), anderseits der Haltung „mir brauchet nix, was unsan Bauch störa duat“, zu frönen. Wer wirklich kreative Ideen auf dem Theatergebiet hat, wird um Ulm am besten einen großen Bogen machen, denn es gilt für diese Stadt im Kulturbereich, was Thorsten Sadowsky als Begründung dafür angab, in letzter Minute die Reißleine zu ziehen und nicht als neuer Museumsdirektor an die Donau zu gehen: „Ulm bietet keine Perspektive“
Die Spielschachtel wollte zeigen, wie es auch anders geht.
Einfach nur traurig diese ganze Sache
Ist es nicht möglich neu zu starten. bei diesem Bericht regt sich in mir doch gleich Widerstand. Jetzt haben die Mächtigen doch gewonnen. Das kann doch nicht egal sein.
Die Masse kann das nicht wieder kippen? Oder kann Privat was kleines wieder entstehen?